Wenn Boote zu einer Plattform werden
In Barcelona durfte ich mit dem Designkoordinator Adolfo Carrau vom Alinghi Red Bull Racing Team über diese Boote, Designwunder des 37. America's Cup sprechen.
Er nennt sie einfach Plattformen. Bei etwa 6 Knoten Wind heben sie ab, beginnen auf den Tragflächen zu fliegen und erreichen Geschwindigkeiten von etwa 100 km/h. Das ändert alles: Hydrodynamik und Aerodynamik rücken in den Mittelpunkt, um den Luftwiderstand zu verringern.
Die Segel erzeugen Schub, die Folis Auftrieb und Widerstand, und es gibt viel zu testen und zu optimieren. Das Foildesign ist hochkomplex und umfasst alles was die gesamte Wissenschaft der Luftfahrttechnik.
Vielen Dank an Adolfo Carrau und Alinghi Red Bull Racing für diese Einblicke.
Der Artikel ist im Wave Magazine Nr. 63 erschienen.
Fotos: © siehe Name des Fotografen in jedem Foto
Englisch Übersetzung mit ChatGPT
Archimedes kriegt Flügels
Im ersten Artikel unserer dreiteiligen Serie haben wir die Geschichte des America's Cup bis zum heutigen Tag beschrieben. Nun werfen wir einen genaueren Blick auf die Boote und ihr Design. Dazu ist Jürg Kaufmann nach Barcelona gereist, wo er Alinghi Red Bull Racing zwei Tage lang besuchen und mit Designern, Seglern und Trainern sprechen konnte. Hier sind die exklusiven Einblicke...
Wir erleben derzeit eine neue Ära des America's Cup. Der Cup war schon immer voller Überraschungen aller Art, aber diese ist etwas Besonderes. Die erste Überraschung: Der französische AC-Cupper vom Team Orient Express ist identisch mit dem Boot des Titelverteidigers Emirates Team New Zealand, einschließlich der versteckten Designgeheimnisse wie dem im Rumpf befindlichen Großsegelbaum.
Wir sprechen jedoch nicht mehr von Booten, sondern von Konstruktionen, die über dem Wasser schweben. Die Konstrukteure nennen sie einfach "Plattformen". In Barcelona hatte ich die Gelegenheit, mit Adolfo Carrau, dem Design-Koordinator, ausführlich über das Design der aktuellen AC75 in der Teambasis von Alinghi Red Bull Racing zu sprechen.
Die Plattform muss eine solide, aber möglichst leichte Struktur sein, die den Kräften standhält. Außerdem muss sie die gesamte Technologie aufnehmen und sich vollständig in das Segeldesign integrieren. Von hinten nach vorne umfasst dies:
BEREIT ZUM ABHEBEN
Im Wasser vor dem Start wird die Verdrängung optimiert, um maximalen Auftrieb und minimalen Wasserwiderstand zu erzeugen. Nach dem Start liegt der Schwerpunkt auf der Verringerung des Luftwiderstands und der Optimierung der Luftzufuhr zu den Segeln. Ab etwa 6 Knoten Wind reicht der Auftrieb der Foils im Wasser aus, um die Plattform zum Fliegen zu bringen. Die Plattform, einschließlich des Unterwasserschiffs, ist so konstruiert, dass sie mit den gewählten Segeln genügend Auftrieb erzeugt, ohne dass der "Take-off"-Moment durch die Verdrängung verzögert wird. Sobald sich der Rumpf vom Wasser abhebt, verdrängt der untere Teil des Rumpfes kein Wasser mehr, sondern nur noch Luft.
Eine AC-Regatta beginnt nur, wenn die Windgeschwindigkeit zwischen 6,5 und 21 Knoten liegt. Fällt der Wind während der Regatta unter 6 Knoten, können die Cup-Boote nicht auf den Foils bleiben und wie herkömmliche Verdrängeryachten segeln. Dies wirft erste Fragen für die Teams auf: Sollte das Design eher den Verdränger- oder den Flugmodus berücksichtigen? Wie viel Zeit sollten die Crews in das Training von konventionellem Segeln oder Foilen investieren?
Hinzu kommt die Zeit- und Wetterkomponente. Im August und September segeln die Herausforderer um den Platz im America's-Cup-Match gegen den Titelverteidiger Emirates Team New Zealand. Ab Ende September werden die Bedingungen jedoch härter werden. Adolfo Carrau vergleicht es mit einem Formel-1-Auto, das geradeaus fährt; die Winde werden stärker, die Wellen höher - "die Straße wird holpriger." Die Herausforderer müssen jedoch schon vorher das Beste aus ihrem Design herausholen und sind gezwungen, entsprechende Kompromisse einzugehen. Der Verteidiger muss sich nur auf die Bedingungen ab Oktober konzentrieren und profitiert zusätzlich von dem aufschlussreichen Vergleich, wie das französische Schwesterboot gegen die anderen vier Herausforderer abschneidet.
Durch den Verkauf des Designpakets hat das Emirates Team New Zealand Geld in die Kasse bekommen - und die Franzosen konnten im Wettbewerb ein wenig aufholen. Die Kiwis gehen sparsam mit ihren finanziellen Mitteln um. Statt ihr Cup-Boot per Luftfracht nach Barcelona zu transportieren, kam "Taihoro" per Frachtschiff nach Spanien. Den wochenlangen Trainingsausfall wird das Team von Grant Dalton schnell wieder wettmachen.
"Boot Eins. Eine schöne Maschine, eine radikale Idee."
Adolfo Carrau
WICHTIGE PUNKTE FÜR DIE DESIGNER
Wenn das Konstruktionsteam seine Hausaufgaben richtig gemacht hat, kommt das schnellste Boot auf das Wasser. Wenn alle auf die gleiche Weise rechnen würden, wären alle Boote gleich schnell. Doch die AC-Yachten müssen bei unterschiedlichen Wind- und Wellenbedingungen ihr Bestes geben. Wer hat die besten Vorhersagen für das launische Mittelmeer vor Barcelona? Welches Team hat den perfekten Kompromiss für die Ausscheidungsregatten im Sommer und das Finale im November?
Es ist keine Raketenwissenschaft, eine Jacht unter normalen Bedingungen schnell zu machen. Es gibt genügend Erfahrung im Segeldesign, die Strömungsdynamik ist bekannt, und selbst bei der Verwandlung des Schiffes in ein Flugobjekt gibt die Aerodynamik Ratschläge. Schauen wir den Konstrukteuren über die Schulter, um zu sehen, mit welchen Problemen und Dilemmata sie konfrontiert sind.
Sobald das Cup-Boot oder die Cup-Plattform fliegt, gibt es aus Sicht der Konstrukteure noch zwei entscheidende Elemente: die Reduzierung des Luftwiderstands und die Optimierung des Antriebs. Es gelten die gleichen physikalischen Prinzipien wie bei Flugzeugen. Wasser hat eine höhere Dichte als Luft, daher sind die Tragflächen oder die Hydrodynamik entscheidend. Bei Geschwindigkeiten um 100 km/h spielt jedoch die Aerodynamik eine wichtige Rolle. Wenn man sich die Rümpfe ansieht, stellt man fest, dass die Konstruktionsteams ähnliche Lösungen gefunden haben. Nur das englische Boot ist noch extremer. Ob sich das auszahlt, wird sich im Juli zeigen, wenn die Teams zum ersten Mal gegeneinander trainieren dürfen.
DAS RIGGING
Schub durch die Segel bedeutet, dass jedes Segel auch bei enormen Belastungen einzeln optimal getrimmt werden muss. Es gibt drei Segel, nicht nur zwei. Das Großsegel besteht aus zwei unabhängigen Segeln, die zusammen einen Flügel bilden. Keines der sechs AC-Boote hat ein Achterstag, was die Belastung für das Großsegeltrimmsystem erhöht und die Lastverteilung im Vergleich zu einer normalen Yacht drastisch verändert. Ein Traveller wie bei vielen Yachten oder ein im Rumpf versteckter Großsegelbaum - diese Ansätze sahen wir schon bei Luna Rossa Pirelli im letzten Cup und nun auch bei Emirates Team New Zealand und damit den Franzosen. Das Gleiche gilt für die Fock, das Vorsegel - auch hier scheint es verschiedene Konstruktionslösungen zu geben: mit Traveller oder mit eigenem Baum. Die Wendepunkte und Lasten aller drei Segel werden ständig hydraulisch verstellt. Der Mast ist eine Einzelanfertigung von Southern Spars, so dass Ersatzmasten verfügbar sind. Aber die Detailarbeit der teamspezifischen Änderungen ist nicht zu unterschätzen. Bravo Alinghi Red Bull Racing.
AERODYNAMIK
Die Rumpfkonstruktion beeinflusst nicht nur den Wasserwiderstand, sondern sorgt auch dafür, dass der Wind besser durch die Segel strömt. Ein gut durchdachter Rumpf kann den Windwiderstand verringern und gleichzeitig die Segeleffizienz erhöhen, was zu einer höheren Gesamtgeschwindigkeit führt. Bei diesem Cup sehen wir nur die Köpfe der Steuermänner und Trimmer; alle Elemente der Plattform sind aerodynamisch angeordnet und "verpackt". Die Italiener gehen noch einen Schritt weiter: Der Steuermann sitzt in einem Cockpit wie in einem Flugzeug. Den Vortrieb zu erhöhen und den Luftwiderstand zu verringern, ist ein einfaches Ziel, aber eine komplexe Aufgabe.
In der Woche nach dem Besuch in Barcelona brach der Schweizer Mast. Die genaue Ursache wurde nicht veröffentlicht, aber eine Theorie bestätigt die enormen Belastungen in Mast und Takelage. Wenn der Druck des Großsegel-Trimmsystems nachlässt, steigt der Druck auf den Cunningham. Einige Experten glauben, dass dies zum Mastbruch führte.
Der positive Aspekt dieses Unfalls ist für mich die Professionalität, die das Schweizer Team an den Tag legt. Zwei Tage später waren sie bereits wieder auf dem Wasser. Gut zu wissen:
Wir befinden uns bereits mitten in der Aerodynamik und Hydrodynamik. Die Konstrukteure unterscheiden zwischen zwei Arten von Widerstand, die den Gesamtwiderstand der Yacht beeinflussen.
Das Diagramm auf Seite 63 zeigt, wie sich diese verschiedenen Widerstandsarten bei Änderungen der Segelgeschwindigkeit verhalten. Ähnlich wie bei einer Flugzeugtragfläche ist der parasitäre Widerstand bei niedrigeren Geschwindigkeiten bedeutender. Mit zunehmender Geschwindigkeit wird der induzierte Widerstand immer dominanter.
DIE FOLIEN
Das große Thema und unendlich komplex: Physikalische Grundlagen wie Widerstand, Auftrieb, Anstellwinkel, Kavitation, Strömungsablösung und Gischtabbau spielen hier eine entscheidende Rolle. Gesteuert werden die Foils über zwei große Arme: Die vorderen großen Foils haben zusätzlich verstellbare Klappen, die hydraulisch von Hand gesteuert werden. Damit lässt sich nicht nur der Auftrieb regulieren, sondern auch die Höhe über dem Wind, in der die Plattform segeln kann. Einige Teams arbeiten mit zwei Klappen, was eine feinere Regulierung bei hohen Geschwindigkeiten ermöglicht, aber auch mehr Turbulenzen erzeugt. Jeder Vorteil hat seine Kehrseite. Die Italiener arbeiten derzeit mit einer großen Klappe pro Segel. Es bleibt abzuwarten, was im Cup verwendet wird.
Die Flügelspitzen sind wie bei Jets aufgebogen; diese so genannten "Winglets" helfen, Wirbel an den Folienspitzen in verschiedenen Formen zu vermeiden und lokale Kavitation zu verringern. Wirbelgeneratoren werden eingebaut, um die Strömungsablösung zu kontrollieren und eine gleichmäßigere Wasserströmung über der Oberfläche zu erhalten. Das Profil am Ruder wird über den Anstellwinkel gesteuert. Die zugehörige Mechanik und Hydraulik wurde am Heck platziert. Auch hier sind unterschiedliche Konstruktionslösungen zu erkennen.
HYDRAULIK
Das Hydrauliksystem auf den Plattformen besteht aus drei verschiedenen Systemen, die jeweils einen eigenen Bereich steuern. Zwei davon sind in einer Ausführung; der Druck wird mit Energie aus Batterien aufgebaut und ist für alle Teams gleich. Damit sollen Kosten gespart und gleichzeitig ein gewisser Sicherheitsstandard erreicht werden. Das hydraulische System zum Trimmen der Segel erhält seine Druckkraft von den "Radfahrern" der Crew und wurde vom Team selbst entwickelt.
FLUGSTEUERUNGSSYSTEM
Damit werden die Einstellungen bzw. Klappen der Foils gesteuert. Die aktuelle Frage ist, ob eine große Klappe über das gesamte Profil oder zwei kleinere Klappen verwendet werden sollen, da alle Teams mit T-Folien segeln. Außerdem steuert dieses System auch den Anstellwinkel der Ruderanlage mit dem Profil.
FOLIENVERKANTUNGSSYSTEM
Dadurch werden die beiden großen Arme mit den Foils bewegt. Die Kräfte sind so groß, dass die Teams beim letzten America's Cup beschlossen, eine gemeinsame Lösung zu bauen, um die Sicherheit zu gewährleisten und die Kosten unter Kontrolle zu halten. Die Folienarme müssen einer Belastung von etwa 35 Tonnen standhalten.
SEGELKONTROLLSYSTEM
Das dritte Hydrauliksystem auf der Plattform ist für das Trimmen der Segel zuständig. Auf den Bildern sehen wir die Technik zum Trimmen des Großsegels, das aus zwei Segeln besteht. Eine Regatta bedeutet etwa 30 Manöver. Die Aufgabe der "Radfahrer" ist viel komplexer als man denkt. Kein Mensch, und sei er noch so gut trainiert, kann in etwa einer Stunde 30 Höchstleistungen vollbringen.
Nils Theuninck, der Schweizer Finn-Segler, ist einer der "Energieerzeuger" und sagte, er sei sehr
glücklich, ein echter Segler zu sein und daher besser einschätzen zu können, wann er die meiste Kraft aufbringen muss. Jeder Radfahrer kann nur eine begrenzte Anzahl von Spitzenwerten erreichen, wobei die Erholung manchmal nur wenige Sekunden dauert.
WER WIRD DEN POKAL GEWINNEN?
Das beste Boot und die beste Mannschaft. Einige Experten glauben, dass die Geschwindigkeiten am Ende ähnlich sein werden. Wenn das stimmt, bedeutet das eine Rückkehr zu echten Matchraces - und zwar mit Plattformen, die mit 100 km/h über das Wasser fliegen. Es bleibt spannend...
DER AUTOR
Jürg Kaufmann ist seit Jahrzehnten auf home in der internationalen Regattaszene unterwegs, zuerst als Segler, dann seit 20 Jahren als internationaler Matchrace-Schiedsrichter.
Der Mitinitiator des Wave Magazins ist einer der Top-Fotografen von yachting, war bei drei Olympischen Spielen und verschiedenen Volvo Ocean Races dabei und berichtet derzeit von seinem vierten America's Cup. www.juergkaufmann.com